Aufbereitung von Studienmaterialien in Großdruck und auf Diskette
Dipl. Päd. Ulrich Zeun
Vortragsteil aus:
3. Dresdner Kolloquium
"Hochschulstudium für Sehgeschädigte"
24. Februar 1994
Ich möchte Ihnen in meinem Beitrag zwei
Aufbereitungsformen von Literatur für Sehgeschädigte
skizzieren, wie wir sie in Dortmund selbst praktiziert haben.
Dies sind Diskettentexte und Großdruck. Diskettentexte und
Großdruck sind zwei Varianten der fünf Ausgabeformate,
die die sehgeschädigten Studierenden seit ihrer Beschäftigung
mit Lösungen zur Behebung des Literaturversorgungsdefizits
als alternative Angebote fordern, um dem individuellen Lese-Arbeitstechniken
gerecht zu werden (s. IbS Dortmund, Tagungsprotokoll, 1986). Außer
den beiden genannten Varianten zählen dazu der Brailledruck,
das Hörbuch und taktile Grafiken sowie Kombinationen der
fünf Formen als Medienpakete.
Diskettenaufbereitung
Bei der Beschäftigung zur Literaturbeschaffung
gab es in Dortmund schon immer Überlegungen, wie ein digitales
Ausgangmedium für alle Ausgabeformen, Braille-, Großdruck,
Sprachausgabe, Lesen auf dem Monitor und der Braillezeile genutzt
werden könnte. Die Diskette als meist gebrauchter Datenträger
und Speichermedium für Computerarbeiten bot sich an.
Auch im Projekt "Aufbereitung hochschulinterner
Materialien für Sehgeschädigte", das ich an der
Universität Dortmund durchführte, stellte sich schon
bald heraus, daß von den sehgeschädigten Computerbenutzern
Texte, insbesondere vorübergehend aktuelle Texte, wie Hochschulzeitschriften
lieber von Diskette (Softcopy) als über einem Ausdruck (Hardcopy)
gelesen und vor allem gelagert wurde. (s. Zeun, AhM-Bericht, 1993).
Aus den im Projekt und eigenem Umgang mit Diskettentexten
gemachten Erfahrungen habe ich Diskettenaufbereitungskriterien
zusammengestellt, die sich zur Strukturierung und Orientierung
insbesondere an die Bedürfnisse der BraillezeilenleserInnen
anlehnen und das Konzept der Hagener Orientierungsspalte nachahmen.
Die vorgeschlagenen Diskettenkriterien sind
Folgende:
Diskettenaufbereitungskriterien 1. Vorschlag (U. Zeun)
Für die verschiedenen Ausgabeformen, Großbild,
Braillezeile (1:1, Vollschrift, Kurzschrift), Sprachausgabe müssen
Modi gefunden werden, die ein Erstellen einzelner Textdateien
für diese Medien möglichst vereinfachen oder eine Ausgangsdatei
sinnvoll nutzen können.
- 1) Format
Die Diskettendateien müssen in
ASCII formatiert sein, damit sie mit allen Texteditoren und mittels
der adaptierten Ausgabegeräte Braillezeile, Sprachausgabe,
Großbildsystem gelesen werden können. (Anmerkung:
Während die ersten 127 ASCII-Zeichen standardisiert sind,
kann es Probleme bei den höher liegenden Zeichen geben,
da sie länderspezifich unterschiedlich gebraucht werden
bzw. belegt sind.) Nur ggf. kann bei Bedarf in dem entsprechend
gewünschten Format des Textverarbeitungsprogramms abgespeichert
werden
- 2) Diskettenstruktur
a) Abspeichern einzelner Kapitel in Textdateien (in einem Unterverzeichnis),
um eine Inhaltsübersicht grob zu bekommen. Kleine Dateien
ermöglichen auch das Laden der Dateien, wenn das Programm
nicht in der Lage ist sehr umfangreiche Textdateien zu laden.
b) für andere Lesebedürfnisse sollte der Gesamttext
in einer einzigen Datei zusammengefaßt und zusätzlich
gespeichert werden.
c) beide Varianten sollten für BrailleleserInnen auch als
Kurzschriftdateien vorhanden sein.
- 3) Dateinamen
a) Bezeichnen der Textdateien mit sinnträchtigen Namen.
Eine Einschränkung ist jedoch dadurch vorgegeben, daß
Dateinamen in den DOS/Windows-Textverarbeitsprogrammen nur 8
Zeichen plus einer Erweiterung um 3 Zeichen einnehmen dürfen
(Matrix [xyxyxyxy.abc]).
b) Editoren wie Word oder Amí Pro erlauben eine stichwortartige
Inhaltsangebe zu den Dateien - erleichtert ggf. eine Heraussuche
- wenn im Format des Anwenderprogramms formatiert.
c) Extension (Erweiterung) sollte wie meist üblich als "txt"
benannt werden, um die Datei als Textdatei zu kennzeichnen.
- 4) Inhaltsübersicht
Anlegen einer Inhaltsdatei mit Titel bzw. Inhaltsangabe zu den
Einzeldateienamen.
- 5) Leseorientierung und -verweise
a) Anlegen einer freien ersten und zweiten Position (Spalte)
im Text, die als Orientierungsspalte dient. Wie im Brailledruck
können auf der ersten Position dann auf der Braillezeile
vertikal bestimmte Hinweismarken gefunden werden. mit Suchfunktionen
der Editoren kann zu diesen Marken gesprungen werden.
- 6) zur Orientierungsspalte
a) Ankündigung von Originalseitenwechsel
in der ersten Spalte (ggf. auch im Text) durch eckige Klammern
[..]. Diese sind als Braillesymbol leicht von anderen zu unterscheiden
(ST- und EM-Zeichen) und daher wieder zufinden.
b) Markierung von Bildbeschreibungen in der ersten Spalte durch
beginnende spitze Klammer-auf "<" (kleiner als-Zeichen;
Braille = ach-Zeichen) - die Bild-Beschreibung als solche folgt
direkt und wird durch eine spitze Klammern-zu beendet ">"
(größer als-Zeichen; Braille = ig-Zeichen)
c) Markierung bestimmter Textteile oder Einschübe, wie Werbung
und Fußnotenzeichen durch Sonderzeichen in der ersten Spalte
- z.B. Bindestriche, "- - -" (Punkte 3,6 in Braille)
oder Doppelpunktreihe ":::" (Punkte 2,5 in Braille).
(weiteres s. Beispiel)
- Aufbereitungshinweise
Anlegen einer Info-Datei ("liesmich.txt"), die Angaben
zur dieser Aufbereitung und Struktur der Diskettendateien enthält
(s. Beispiel u.)
- 8) Wahrnehmungsbezogene Aufbereitung
Mehrere Leerschläge zur optischen
Trennung von Textteilen wie bei Inhaltsverzeichnissen und tabellarischen
Zuordnungen sollten entweder reduziert werden (höchstens
4 Leerschläge) oder mit Hinführungspunkten gefüllt
werden, da der/die Brailleleser/in andernfalls möglicherweise
davon ausgeht, daß keine weiteren Textinformationen mehr
in der Zeile folgen und nicht weiterliest
- 9) Aus ähnlichen
Tast-Gründen und der üblichen Formatierung des Braillepapiers
sollten Überschriften nicht mittig bei einer 80-Zeichen-Zeile,
sondern weiter nach links (Mitte der ersten 40 Zeichen) gesetzt
werden;
- 10) Übersichten
(im Original oft in der Mitte eines geklammerten Heftes) sollten
an den Anfang gesetzt werden, oder speziell auf ihr Vorhandensein
verwiesen werden.
- 11) Nicht so
relevante Informationen, die im Originaltext zwischen den Textblöcken
stehen (Werbung wie im Sportprogramm und Uni-Zeitschrift), sollten
am Ende gebündelt aufgeführt oder als Extradatei aufbereitet
werden (ggf. Verweis an Originalposition), ähnlich wie dies
bei wissenschaftlich aufgelesenen Hörbüchern vorteilhaft
ist.
Beispiel der Orientierungsspaltencodes:
ASCII-Wert |
Monitorzeichen |
Braille |
35 |
# |
3,4,5,6 |
40 |
( |
2,3,4,5 |
41 |
) |
2,3,4,5 |
42 |
* |
3,5 |
43 |
+ |
|
45 |
- |
3,6 |
58 |
: |
2,5 |
60 |
< |
5,6 |
62 |
> |
4,5 |
91 |
[ |
2,3,4,5,6 |
93 |
] |
1,2,3,5,6 |
95 |
_ |
4,5,6 |
124 |
| |
|
126 |
~ |
|
159 |
|
|
Beispiel einer Infodatei zur Diskettenausgabe
Hinweise zum Lesen der Diskettentexte und zur Aufbereitung
::::::::::::::::::::::::::::::::::::
Die Aufbereitung zum Lesen auf der Braillezeile enthält eine
2-spaltige Orientierungsspalte. Der Text beginnt also in Bildschirmspalte
3. Absätze sind i.d.R. um zwei Spalten eingerückt.
Wenn möglich, sollten die Seitenränder beim Texteditor
links und rechts auf Null gesetzt werden, damit die Zeilenstruktur
immer erhalten bleibt. Punktschriftleser mit 40-Modul-Zeilen können
die Seitenränder so einstellen, daß jeweils 40 Zeichen
in eine Textzeile passen (Achtung bei Tabellen).
Folgende Zeichen werden benutzt
[] = Seitenzahlen in eckigen Klammern (Beginn
in O-Spalte); direkt im Text ist mit [] der Originalseitenwechsel
markiert
_ = unterstrichen: in O-Spalte wenn ganze
Zeile oder vor Einzelwort
= fett: in O-Spalte oder vor Wort
(da, wo relevant)
# = kursiv: in O-Spalte oder vor dem Wort
* = Fußnote ist in Zeile: Fußnotenzeichen
ist im Text in runden Klammern (...)
-- = Fußnotentrennlinie und -abschlußlinie
(Fußnote folgt kurz nach dem Fußnotenzeichen
< = Beginn Bildbeschreibung in O-Spalte,
> Ende der Bildbeschreibung (bei längerem Text auch in
O-Spalte)
:1-n::::::::::: = Einrahmung eines Infokastens
(wie im Original), auch Ende des Infokastens
~ = reserviert für Kopfzeilentextankündigung
oder Marginalien (Text folgt dahinter)
Linienzeichen, wie -- | + (Bindestrich,
vertikalesr Strich, Plus) stehen als Rahmenlinien, wie im Original,
dienen der Hervorhebung von Textteilen oder der Gliederung von
Tabellen
AhM - Aufbereitung hochschulinterner Materialien
- (c) 1992/1993 Ulrich Zeun
Beispiel für die Darstellung in einem
Fließtext
[5]
1. BEGRIFFSABKLÄRUNGEN
Zu Anfang ist es nützlich einige Begriffe zu
definieren bzw. zu
sehen, in welchem Zusammenhang die Thematik durch
diese
Definitionen gestellt werden.
"Behinderung" wird je nach Definitionsersteller
unter
pädagogischen, medizinischen oder rechtlichen
Aspekten gesehen
(Begriffe der Erziehungsbedürftigkeit, Einordnung
nach
organischen Schäden oder Grad der Behinderung.
<Bild: Begriffswirrwarr zu Krankheit - Schädigung - Behinderung
etc.: bei Krankheit ist ein
Mensch in einem Krankenhausbett abgebildet,
links davon ein Politiker., der große Reden
schwingt und im weiteren mit
Tomaten etc. beschmissen wird; dabei steht "Benachteiligung";
zum Begriff "Behinderung" ist der gefesselte
und geknebelte Barde aus den
Asterix-Heften abgebildet; unter "Beeinträchtigung"
läuft ein Mann
mit einer Kugel am Bein davon; ...>
[6]
Übergeordnete Ansätze, wie der der World
Health Organization
(WHO) versuchen die Begriffsproblematik durch differenziertere
Definitionen zu lösen: "impairment ->
disability > handicap"
(s. Infokasten 1).
...
* Für "behinderte Studierende" (1) kann hier
die Definition
von LEDER gelten, die relativ weit gefaßt ist
und den Aspekt
einbezieht, daß Studierende dann als "behindert"
bezeichnet
werden können, wenn er/sie Hilfe, Unterstützung
oder
Förderung braucht (vgl. Definitionsansätze
Infokasten 1).
--------------------
1) Es könnte auch von beeinträchtigten Studierenden
gesprochen
werden, um die begriffliche Stigmatisierung zu vermeiden.
--------------------
# Klar sollte sein - und dies gilt für alle Ausführungen
dieses Readers , daß das subjektive Empfinden
der
Beeinträchtigung und der objektive Zustand des
Zurechtkommens mit einer erschwerten Studien- und
Lebenssituation von der Persönlichkeit des Einzelnen
mit
abhängt. Die Auswirkungen sind daher individuell
verschieden und von
Person zu Person unterschiedlich; sie treten nicht
immer
zwangsläufig auf.#
[7]
:1::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::
Infokasten 1: Definitionsansätze "Behinderung"
_3 (1) Behinderung im Sinne dieses Gesetzes ist die Auswirkung
einer nicht nur vorübergehenden Funktionsbeeinträchtigung,
die auf einem regelwidrigen körperlichen, geistigen
oder
seelischen Zustand beruht. Regelwidrig ist der Zustand,
der von
dem für das Lebensalter typischem abweicht. Als
nicht nur
vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als
6 Monaten. Bei
mehreren sich gegenseitig beeinflussenden Funktionsbeein
trächtigungen ist deren Gesamtauswirkung maßgeblich.
:::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::
etc.
Die Kriterien wurden bislang nicht diskutiert,
von mir gewünschte Rückmeldungen zu einzelnen Texten,
die ich so strukturierte (Tagungsbroschüren, AhM-Bericht (als Diskettenversion)
erhielt ich leider nicht.
Folgen wir der Einteilung von Texten des Internationalen
Kommittees für zugängliches Dokumenten-Design (ICAAD:
Positionspapier des Internationaö Committee on Accessible
Architecture for Documents) in Typ I (römisch 1) für
kurze Texte und Typ II (römisch II) für längere
Dokumente, wäre eine Diskussion der o.g. Kriterien für
kürzere Texte des Typs I in ASCII-Format wünschenswert.
Für längere Texte (Typ II) gibt es Überlegungen
des CAPS-Projektes u.a. zu einer standardisierten Strukturierungs-Code-Sprache,
die es erlauben würde, solche digitalisierten Texte als einheitliche
Grundlage für alle Ausgabeformate (Lesen über den Computer
mit Hypertextfunktionen, Ausdruck in Braille und Großdruck).
Dies ist die "Standardized General Markup Language"
(Standardisierte Allgemeine Markierungs Sprache).
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